Ich hätte fast verpennt, dass es neulich einen
Tatort zum Thema KI gab...
Wie immer geht es bei den Münchnern ziemlich zur Sache, das interessante an der Folge ist aber vor allem, dass ein Computerprogramm im Stil von Alexa/Cortana/Siri eine zentrale Rolle spielt.
Ab jetzt werde ich ein bissl spoilern, wer also den Tatort schauen will und noch nicht gesehen hat sollte nun aufhören zu lesen ;)
Mich hat tatsächlich überrascht, wie viele spannende Themen angeschnitten wurden, wenn auch jeweils nur sehr, sehr knapp:
* Das Programm Maria identifiziert einen Mann als Täter. Das Gericht akzeptiert diese Identifikation aber nicht ohne Gutachten eines Informatikers. Das ist schon mal ein interessanter Aspekt, da
Alexa schon ähnliches erlebt hat. Interessant wird es natürlich erst später, als sich herausstellt, dass
Click to open/close
die "Zeugenaussage" durch eine gefälschte Datenbank zustande kam, also nicht der Wahrheit entsprach.
Bei all dem "Mehr Computerüberweachung heißt mehr Sicherheit!!11!11"-Gekreische wird dieser Punkt denke ich noch viel zu wenig in der öffentlichen Debatte beachtet.
* Einer der Verdächtigen war einer dieser gruseligen
Transhumanisten. Bei ihm wird Material zu
Biohacking sichergestellt und quasi nebenher wird dargestellt, dass er einen implantierten RFID-Chip zur Identifikation am Computer nutzt. Auch der nette Seitenhieb, dass der Transhumanist die Polizisten direkt mal für Geheimagenten hielt fand ich interessant. Aber die Geheimdienste haben sich anscheinend nicht für ihn interessiert...
* Gegen Ende gab es dann noch eine nette ethische Grundsatzdiskussion mit dem Computer. Das war für meinen Geschmack etwas zu klischeehaft -- vor allem finde ich es ziemlich unlogisch, dass ein einzelner User so ein Supercomputersystem mit ein paar Argumenten umstimmen kann -- aber da gab es dann noch einen netten, fast unsichtbaren Seitenhieb: das tolle Supersystem, dass alles sieht und alles weiß kann leider auch keinen Mord verhindern. Schade. Naja... vielleicht wenn wir dem Supercomputer bewaffnete Roboter zur Verfügung stellen...? Aber so weit in die Tiefe ging der Tatort dann (natürlich) doch nicht.
Dass diese Themen aufgegriffen wurden fand ich schon recht beeindruckend. Aber natürlich machen ein paar nette Seitenthemen keine überzeugende Geschichte.
Es gab leder auch ein paar Dinge, die mich ziemlich gestört haben:
* Warum war das Computersystem nicht multitaskfähig? Ich kann nur annehmen, dass das eine Art Vermenschlichung sein sollte, aber es gab etliche Szenen, in denen ich mir diese Frage ernsthaft gestellt habe, etwa als Leitmayr mit Maria diskutiert hat und Anna dahinter an einem Terminal sitzt und per Kopfhörer mithört. Warum spricht Maria nicht zeitgleich mit ihr? Warum spricht Maria nicht mit Wilmots, als seine versteckte Webcam angeht? Usw.
* Warum ist Maria überhaupt so sympathisch dargestellt? Sie ist ein unkontrollierbares, selbstlernendes Robotersystem! Dass so ein System nach einem kurzen Hinweis auf die Bibel plötzlich menschliche Ethik lernt (zumal die moderne Ethik der westlichen Welt) scheint mir schon sehr weit hergeholt. Da im Film angesprochen wird, dass das System den
Turing-Test bestehen könnte wäre es für mich viel stimmiger gewesen, dass Maria zu Laitmayr sagt, was er hören will und zu Anna das, was sie hören will und zu Degner das, was er hören will. Dann hätte man gleich einen schönen Seitenhieb auf Filterblasen und die Macht der Algorithmen, jedem Menschen das zu sagen, was er hören will, ohne dass das mit der Realität übereinstimmen müsste...
* Überhaupt: warum ist Maria so sympathisch dargestellt??? Als sie abgeschaltet wird muss man ja fast Mitleid haben... Spätestens an der Stelle hätte ein Seitenhieb auf
(vorgespielte) Emotionen bei Robotersystemen gut getan -- als Dialog zwischen Dr. Steinbrecher und Anna hätte das auch gut in die Szene gepasst.
Also insgesamt ein ganz guter Tatort mit einem recht spannenden Thema (und ein paar überraschenden Details), aber wie zu erwarten ohne den Tiefgang, den man sich als paranoider Informatiker wünschen würde :)
- Thomas