Ich habe nun (endlich) Charles Darwin: "The Decent of Man, and Selection in Relation to Sex" komplett gelesen. Ich fand es stellenweise ganz interessant, aber sehr, sehr anstrengend geschrieben... und mit 700 Seiten auch ziemlich lang. Wobei ich gestehen muss, dass ich auch einen großen Teil übersprungen habe.
Worum geht es überhaupt?
Darwin ist ja zunächst bekannt für die (erste) Publikation zur Evolutionstheorie. Das war allerdings in seinem Hauptwerk "On the Origin of Species by Means of Natural Selection, or the Preservation of Favoured Races in the Struggle for Life". Nun habe ich im Vorwort zu Descent of Man allerdings gelernt, dass die Evolutionstheorie nicht von Darwin entwickelt worden war, sondern in gelehrten Kreisen schon länger diskutiert wurde. Es gab da allerdings einige politisch unangenehme Implikationen, weshalb sie nicht allzu lautstark propagiert wurde -- beispielsweise: wie steht es um die Sklaverei, wenn alle "Menschenrassen" eng miteinander verwandt sind? Wenn der Mensch sich evolutionär entwickelt hat, woher kommt dann die Krone der Schöpfung, d.h. der britische Gentleman (der ja auch politisch die Welt beherrschte!)? Und wie entwickelt er sich weiter?
Neben den politischen Sorgen gab es allerdings auch etliche Detailfragen, die unklar waren und auch aus heutiger Sicht garnicht so trivial sind:
* Wenn sich alle Spezies evolutionär verändern, dann hat offenbar jede heute existierende Spezies eine Geschichte von Vorgänger-Spezies. Wie viele "Ur-Spezies" gibt es dann? Also: stammen alle Lebewesen von einer Spezies ab, oder gab es mehrere (z.B. eine für den Menschen, eine andere für "niedere" Tiere)? Und wo kamen diese Ur-Spezies dann her? Vielleicht gab es ja schon immer sehr viele Spezies, z.B. durch göttliche Schöpfung.
* Wenn sich die Spezies im Überlebenskampf (d.h. durch externe Faktoren bestimmt) entwickeln, wieso entwickeln sich dann verwandte Spezies in ähnlichen Lebensräumen unterschiedlich? Beispielsweise Menschen in Afrika oder Indien. Direkter formuliert: warum unterscheiden sich die am besten angepassten Spezies in sehr ähnlichen Lebensräumen teils sehr stark?
Diese zweite Frage war das, was Darwin (meines Wissens) zur Theorie beigetragen hat. Die -- für einen viktorianischen Gentleman etwas überraschende -- Antwort ist: SEX!
Um genau zu sein: sexuelle Selektion, die neben der natürlichen Selektion durch die Umweltbedingungen die Evolution beeinflusst. Konkret heißt das: nur die am besten an die Umwelt angepassten Vertreter einer Art überleben, um sich fortzupflanzen, aber gleichzeitig findet eine Auswahl dieser Exemplare durch sexuelle Attraktivität statt. Dadurch kann -- bei Dingen, die nicht direkt die Überlebenschancen beeinflussen -- eine Art evolutionärer Geschmack entstehen. Zum Beispiel große oder kleine Ohren bei Elefanten. Das kann sogar dazu führen, dass Körpermerkmale entwickelt werden, die für den Überlebenskampf kontraproduktiv sind, wie etwa riesige Geweihe. Die sind vielleicht "im Alltag" etwas hinderlich, sehen aber beeindruckend aus.
Soviel zur Theorie. Weitere Details und Analysen aller möglicher Spezies finden sich in Darwins Arbeiten. Deswegen sind diese Bücher so umfangreich...
Warum habe ich den Schreibstil anfangs als "sehr, sehr anstrengend" bezeichnet? Darwin schreibt (zumindest aus meiner heutigen Sicht) recht unstrukturiert, er wiederholt sich öfters und er schreibt sehr langatmig. Häufig verweist er auf andere Schriften, indem er in einem Absatz den Autor nennt und die wichtigsten Erkenntnisse wiedergibt. Das ist sehr gut, wenn man die Arbeit des Autors nicht kennt, aber etwas störend, wenn die Zusammenfassung nicht viel mit dem Thema des Kapitels zu tun hat. Vor allem, wenn dann etliche Autoren (auf etlichen Seiten) am Stück eingestreut werden, bevor Darwin zu seinem eigentlichen Punkt kommt...
Aus heutiger Sicht ist natürlich auch der Sprachgebrauch in Bezug auf Menschenrassen und Geschlechterfragen nicht gerade politisch korrekt -- das nur als Warnung, falls jemand in Darwin reinlesen möchte und da empfindlich ist. Aber das liegt natürlich an der Entstehungszeit. Es beruhigt, sich immer wieder ins Gedächtnis zu rufen, dass Darwin durchaus liberal war und beispielsweise gegen die Sklaverei eintrat.
Eigentlich wollte ich nach einer kurzen Zusammenfassung noch auf ein paar interessante Aspekte eingehen und auf zwei thematisch passende Filme hinweisen, aber ich denke für heute ist mein Artikel lang genug. Vielleicht gibt es also nächste oder übernächste Woche eine Fortsetzung :)
- Thomas