Ich habe neulich einen ganz guten Film geschaut:
Ex Machina. Es geht um einen Programmierer, der eine Art Turing-Test mit einem Roboter durchführen soll. Der Clou: er weiß von Anfang an, dass es sich um eine Maschine handelt -- der Entwickler der Maschine sagt dennoch voraus, dass der Programmierer sie für menschlich halten wird.
Der Film ist sehenswert, allein schon, weil er ziemlich ruhig ist und dabei enorm spannend. Ich möchte auch garnicht zu viel verraten...
Aber ich lasse mich ja immer gerne zu irgendwelchen Themen-Recherchen verführen. Bei diesem Film wurde ich neugierig, was eigentlich hinter dem Turing-Test steckt.
Natürlich kenne ich den Turing-Test im Prinzip: ein Mensch unterhält sich (per Chat o.ä.) mit einem Gegenüber und soll dann beurteilen, ob das ein Computer ist. Das scheint soweit klar -- aber eigentlich ist diese Beschreibung völlig unklar, wenn man mal genauer hinschaut. Es sind etliche Fragen offen: braucht der Versuchsteilnehmer einen Vergleichsmenschen, oder spricht er nur mit einem Gesprächspartner? Weiß er vorab, dass sein Gesprächspartner eine Maschine sein könnte? Welche Art von Nachrichten sind zulässig? Bei so vielen Fragen ist meine Neugier geweckt und ich zuerst einmal wissen, was Turing's Original-Beschreibung ist.
Und ich war ein wenig überrascht, was
Wikipedia mir erklärt hat:
Turing's original article describes a simple party game involving three players. Player A is a man, player B is a woman and player C (who plays the role of the interrogator) is of either sex. In the imitation game, player C is unable to see either player A or player B, and can communicate with them only through written notes. By asking questions of player A and player B, player C tries to determine which of the two is the man and which is the woman. Player A's role is to trick the interrogator into making the wrong decision, while player B attempts to assist the interrogator in making the right one.
Turing then asks:
What will happen when a machine takes the part of A in this game? Will the interrogator decide wrongly as often when the game is played like this as he does when the game is played between a man and a woman? These questions replace our original, "Can machines think?"
Das heißt also, in dieser ersten Version soll sich der Computer als Frau ausgeben!
Ok, die Standard-Interpretation kommt später im gleichen Paper, nämlich dass Spieler B irgendein Mensch sein darf -- aber ich finde das ganze trotzdem irgendwie interessant. Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese erste Beschreibung ein Versehen war.
Das Paper ist 1950 erschienen, also in einer Zeit, in der Geschlechterrollen sehr klare Erwartungen erzeugt haben. Leider kenne ich die Original-Arbeit von Turing nicht, aber auch Wikipedia gibt später Beispiele für Fragen, wie sie Turing im Sinn hatte: "Will X please tell me the length of his or her hair?" or "In the first line of your sonnet which reads, 'Shall I compare thee to a summer's day,' would not 'a spring day' do as well or better?" -- also auch in seinen Beispielen geht Turing deutlich auf Geschlechterrollen ein (wir befinden uns im Jahr 1950!).
Inwiefern ist das relevant?
These questions replace our original, "Can machines think?"
Der Turing-Test stellt die eigentliche Frage nach "denkenden Maschinen" zurück und fragt zunächst: können wir Maschinen bauen, die sich für etwas ausgeben können, was sie nicht sind? Das ist eine interessante Verschiebung der Fragestellung -- im Prinzip sagt Turing, dass die Frage "Can machines think?" ersetzt werden sollte durch "Can machines lie?" -- oder wohlwollender ausgedrückt: "Can machines imitate?"
Der Turing-Test wird offiziell selten durchgeführt oder auch nur als Forschungsmaßstab gesehen, aber ich befürchte, wir sind gar nicht mehr so weit weg von "imitierenden Maschinen", insbesondere von
Robotern, die Gefühle zeigen -- und das so gut, dass sie bald nicht mehr von Menschen unterscheidbar sind.
Die Frage, ob wir das als Gesellschaft wollen, wird wie so oft nicht gestellt... wollen wir das?
- Thomas